Köln - Das Geläut von St. Mariae Himmelfahrt

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  • čas přidán 1. 09. 2023
  • Seit der Mitte des 16. Jh. (Einstellung des Dombaus 1528) befand sich Köln in einer Rezession. Die Unsicherheiten der Reformation und das Bemühen, das Erzstift Köln dem Protestantismus zuzuführen, gipfelten in der Konversion Erzbischofs Gebhard I. von Waldburg zum reformierten Glauben 1582 und im Folgenden im Truchsessischen Krieg 1583-1588. 1583 wurde dann Ernst von Bayern Erzbischof von Köln, mit ihm konnten die Kräfte der Gegenreformation an Kraft gewinnen. Bereits 1544 kamen die ersten Mitglieder des 1540 gegründeten Jesuitenordens nach Köln, der Orden galt seinerzeit als eine Speerspitze der Gegenreformation. 1581/82 besiedelte der Orden das Achatiuskloster in der Marzellenstraße. 1773 wurde der Orden vorläufig aufgehoben.
    Die alte Klosterkirche erwies sich als zu klein, bereits 1609 wird an den Plänen für eine neue Kirche gearbeitet. Die Grundsteinlegung der nach Plänen von Christoph Wamser errichteten Kirche war 1618, in Gebrauch genommen wurde die Kirche 1629, endgültig fertig war der 1678 geweihte Bau erst 1689. Wamser fasste in seinem Entwurf, dem Konsil von Trient 1545-63 entsprechend, architektonisch die Tradition der röm. Kirche zusammen, er zeigt Elemente der Romanik, der Gotik, der Renaissance und des Frühbarocks. Entstanden war die nach dem Dom zweitgrößte, historische Kirche der Stadt. Sie muss, noch nicht von verstellender Bebauung umgeben, von eindrucksvoller Wirkung gewesen sein.1794 wurde die Kirche durch franz. Revolutionstruppen profaniert und als Dekade-Tempel genutzt. Nach der Säkularisation wurde St. Mariae Himmelfahrt Pfarrkirche. Im 2. Weltkrieg schwer beschädigt, wurden zunächst ab 1949 Sicherungsmaßnahmen durchgeführt, der eigentliche Wiederaufbau im Sinn einer Rekonstruktion zog sich von 1960-1979 hin und fand durch das Aufbringen der Farbfassung 1984/86 einen Abschluss. Die Kirche ist heute im Besitz des Erzbistums Köln und Heimat der Gemeinde italienischer Sprache.
    Das erste Geläut h° dis‘ fis‘ erhielt die Kirche 1631 aus der Hand des Geschütz- und Glockengießers Johann Reutter aus Mainz, seit 1604 in Köln auch als Geschützmeister angestellt. POETTGEN vermutet die Abweichungen von der Kölner Tradition in Disposition und Zier in seiner Mainzer Herkunft begründet. Für das Geläut wurden 11 von Johann Graf von Tilly bei der Eroberung Magdeburgs 1631 erbeutete Kanonen gestiftet. Daher rührt der heute kaum noch gebräuchliche Name „Tilly-Glocken“. Die h° dürfte, vorbehaltlich der großen Glocke für St. Ursula 1684, die schwerste im 17. Jh. für Köln gegossene Glocke sein (Dreikönigenglocke im Dom 1693: 3391,5 kg). Weitere Güsse für die Kirche erfolgten 1641 und 1650 (ubz.) sowie 1670 (2 Gl., Johann Lehr). SEIDLER erwähnt für die Kriegszerstörung des Geläuts zwei Glocken von 1650 (97cm) und 1641 (70cm) in der Turmlaterne.
    1941 wurde das Geläut durch Bombentreffer und Feuer zerstört. h° und dis‘ stürzten ab, fis‘ und 2 Glocken gis‘ und cis‘‘ (lt. BUND, vermutlich die bei SEIDLER genannten) schmolzen noch im Turm. Die zerborstene dis‘ wurde größtenteils Opfer von Metalldiebstählen, die h° war vielfach gerissen. Sie wurde 1950 in der Schweißerlehrwerkstatt von Bayer Leverkusen erfolgreich geschweißt, gelangte nach festlichem Einzug in Köln dann aber erst nach St. Paul in der Südstadt. 1966 konnte sie, zusammen mit 3 neuen Zimbelglocken von Petit & Gebr. Edelbrock aus Gescher, in den Turm von St. Mariae Himmelfahrt zurückkehren.
    Auf Initiative des Kölner Kunsthistorikers und Campanologen Dr. Martin Seidler kam es 1996 zur Rekonstruktion und zum Guss der beiden zerstörten Glocken des Reutter-Geläutes. Computerunterstützt rekonstruierte André Lehr die Rippen, beide Glocken wurden 1996 in der Gießerei Eijsbouts in Asten (NL) gegossen und wiederholen die Zier der zerstörten Glocken. Zum 60. Todesjahr der hl. Edith Stein wurde eine weitere Glocke ais‘, ebenfalls in Asten in Reutter-Rippe gegossen, dem Geläut hinzugefügt. Entstanden ist ein sehr einheitlich wirkendes Ensemble, dynamisch-kraftvoll und von hohem Wiedererkennungswert.
    Die 3 an sich guten Zimbelglocken können sich aufgrund ihrer Aufhängung im Turmoktogon mit winzigen Schallöffnungen leider weder solistisch noch im Vollgeläut behaupten.
    Geläutedaten:
    Maria h° +1, 1701 mm, 3621 (3671?) kg (Gewicht nach POETTGEN)
    Ignatius dis‘ =0, 1350 mm, ~1700 kg
    Franziskus Xaverius fis‘ +1, 1120 mm, ~1000 kg
    Theresia Benedicta a Cruce ais‘ +1, 904 mm, 473 kg
    Helena dis‘‘ -1, 660 mm, 190 kg
    Antonius fis‘‘ -3, 545 mm, 110 kg
    Augustinus gis‘‘ -4, 470 mm, 60 kg
    Ergänzend sei auf den schönen Beitrag des Nutzers „Glockenzeit“ hingewiesen: • Glocken der ehem. Jesu...
    Aufnahmen: 06.05.2023
    Die Aufnahme erfolgte beim Glockenspaziergang durch die Altstadt Kölns im Rahmen des 4. Europäischen Glockentags/des 30. Kolloquiums zur Glockenkunde im Mai 2023. Für Planung und Durchführung sei auch an dieser Stelle den Verantwortlichen herzlich gedankt!
    Bildquellen und verwendete Quellen/Literatur: siehe 1., markierter Kommentar.
  • Hudba

Komentáře • 16

  • @stahlglocke
    @stahlglocke  Před 10 měsíci

    Bildquellen:
    Quelle Stadtansicht 1: museenkoeln.de/portal/bild-der-woche.aspx?bdw=2007_51
    Quelle Stadtansicht 2: unbearbeitete Übernahme aus Wikimedia Commons/gemeinfrei: commons.wikimedia.org/wiki/Category:Cologne_in_the_1630s?uselang=de#/media/File:Eigentliche_Abbildung_des_H._R%C3%B6mischen_Reichs_freyer_Statt_C%C3%B6llen_(1633).jpg
    Quelle Foto der Marienglocke: unbearbeitete Übernahme aus Wikimedia Commons/Glockenzeit: de.wikipedia.org/wiki/St._Mari%C3%A4_Himmelfahrt_(K%C3%B6ln)#/media/Datei:Gro%C3%9Fe_Glocke,_Maria_Himmelfahrt_K%C3%B6ln.jpg
    Alle anderen Fotos, wenn nicht anders angegeben, eigener Provenienz.
    Verwendete Quellen/Literatur:
    JAN HENDRIK STENS: Programmheft zum 4. Europäischen Glockentag in Köln 2023/zum 30. Kolloquium zur Glockenkunde 2023, darin auch das Programm und Erläuterungen zum Glockenspaziergang durch die Altstadt am 6. Mai. Köln, 2023.
    WILFRIED HANSMANN: St. Mariae Himmelfahrt in Köln (Kirchenführer). Heft 250 der Reihe „Rheinische Kunststätten“. 3. Auflage, Köln, 1986.
    KONRAD BUND: Das Reutter-Geläute der Kölner Jesuitenkirche. In: Jahrbuch für Glockenkunde 9/10 (1997/98), hrsg. im Auftrag des Deutschen Glockenmuseums auf Burg Greifenstein e. V. von KONRAD BUND und JÖRG POETTGEN, Greifenstein, 1998.
    KONRAD BUND: Dokumentarfilm der Schweißung der Kölner Tilly-Glocke (1950) erschien auf Video. In: Jahrbuch für Glockenkunde 11/12 (1999/2000), hrsg. im Auftrag des Deutschen Glockenmuseums auf Burg Greifenstein e. V. von KONRAD BUND und JÖRG POETTGEN, Greifenstein, 2000.
    MARTIN SEIDLER: Kölner Glocken und Geläute. In: Colonia Romanica Band IV. Jahrbuch des Fördervereins Romanische Kirchen Köln e. V.. Köln, 1989.
    JÖRG POETTGEN: 700 Jahre Glockenguss in Köln, Meister und Werkstätten zwischen 1100 und 1800. Hrsg. vom Landschaftsverband Rheinland/Arbeitsheft der rheinischen Denkmalpflege 61. Worms, 2005.
    EDMUND RENARD: Von alten rheinischen Glocken. Mitteilungen des Rheinischen Vereins für Denkmalpflege und Heimatschutz, Jahrgang 12, Heft 1. Bonn, 1918.
    M. BECKER-HUBERTI UND G. A. MENNE (Hrsg.): Kölner Kirchen - Die Kirchen der katholischen und evangelischen Gemeinden in Köln. J. P. Bachem Verlag Köln, 1. Auflage 2004.
    UDO MAINZER: Kleine illustrierte Kunstgeschichte der Stadt Köln. J. P. Bachem Verlag Köln, 2015.

  •  Před 10 měsíci +4

    Eines der am besten konzipierten Geläute der Stadt. Mir gefällt das richtig, richtig gut!

    • @stahlglocke
      @stahlglocke  Před 10 měsíci +1

      Volle Zustimmung!

    •  Před 10 měsíci +2

      ​@@stahlglockeHabe beim nochmaligen Anschauen bemerkt, dass mit dem Foto die Persönlichkeitsrechte meines Mikrofons verletzt wurden. Du hast es einfach fotografiert. 😂

    • @stahlglocke
      @stahlglocke  Před 10 měsíci +1

      @ Eigentlich ist es ja Usus, dass sich bei so einer Veranstaltung die Mikrofone bzw. Aufnahmegeräte (!) bei der Tagungsleitung melden, wenn sie nicht fotografiert oder gefilmt werden wollen. Mir ist nicht bekannt, ob Dein Aufnahmegerät da vorgesprochen hat! Zudem ist es ja nicht eindeutig erkennbar, weil von hinten fotografiert. Aber in Ordnung, ich werde Dein Aufnahmegerät bei der nächsten, sich bietenden Gelegenheit dann um Erlaubnis bitten! Und im übrigen Danke fürs nochmalige Anschauen 🙂

  • @TheRealGlockenGusstavo
    @TheRealGlockenGusstavo Před 10 měsíci +3

    Für mich die schönste Kirche Kölns, auch das Geläut ist sehr schön.

  • @Glockenfampf
    @Glockenfampf Před 10 měsíci +2

    Das klingt fantastisch. Dass diese h° überhaupt noch läuten kann scheint ja an ein Wunder zu grenzen. Gefällt mir von der Gesamtzusammenstellung schon außerordentlich gut!

    • @stahlglocke
      @stahlglocke  Před 10 měsíci +1

      Bei (lt. Bund) insgesamt 285cm zu schweißender Risslänge und einem in den 16 Jahren in St. Paul als einer von zwei Glocken (+ fis' aus dem Otto-Geläut von 1925) sicher häufigen Gebrauch kann man die Schweißung wohl als gelungen betrachten!

  • @GlockenMLP
    @GlockenMLP Před 10 měsíci +2

    Es war ein sehr schöner Glockenspaziergang mit einigen Überraschungen gewesen!

    • @stahlglocke
      @stahlglocke  Před 10 měsíci +2

      Definitiv! Wobei ich ja nach St. Aposteln wegen eines Termines in der Antoniterkirche abgebrochen habe.

  • @glockenlandschaft_thueringen
    @glockenlandschaft_thueringen Před 10 měsíci +2

    Ein schönes Geläut und eine schöne Kirche :-)

  • @GKD2015
    @GKD2015 Před 10 měsíci +2

    Schon so oft gehört und nie wirklich wertgeschätzt, wie interessant das Geläut doch eigentlich ist. Ist für mich eines der klanglich interessantesten Geläute der näheren Innenstadt. Gerade im Zusammenklang aller sieben Glocken wirklich hörenswert. Nur sehr schade, dass die kleinen Glocken aus Gescher nicht genutzt werden. Auch wenn sie möglicherweise etwas leiser sind als die anderen Glocken sollten sie dennoch ein kleines Mitspracherecht haben. Wäre auf jeden Fall mal eine Anregung wert.

    • @stahlglocke
      @stahlglocke  Před 10 měsíci +2

      Es ist aber auch etwas anderes, das Geläut im geschützten Raum des Innenhofes des Generalvikariates, perfekt geschaltet, zu hören. Im Alltagslärm des Bahnhofsvorplatzes fällt die Wertschätzung weniger leicht. Und ja, selbstverständlich sollten die Zimbeln regelmäßig genutzt werden, wenigstens zu hohen Feiertagen.

  • @sanctus100
    @sanctus100 Před 10 měsíci +1

    Ein sehr schönes Plenum. Wirklich schade, dass die Zimbeln nicht richtig zur Geltung kommen.

  • @bellspotter
    @bellspotter Před 10 měsíci +2

    Für mich eigentlich das heimliche Highlight der Innenstadtgeläute. Die h° reicht in Klang und Wucht m. E. durchaus an bspw. die Pretiosa ran. Dazu dann noch, wie Kollege Niclas Häusler bereits schrieb, die Konzeption der Ergänzung - ein Traum!

    • @stahlglocke
      @stahlglocke  Před 10 měsíci +1

      Bis zur Pretiosa würde ich hier nicht gehen, aber sie ist sicher die "bessere Dreikönigenglocke". Das ursprüngliche Geläut ist, wie beschrieben, sicher etwas ganz besonderes, mitten im 30jährigen Krieg gegossen. Erst mit dem Umguss der Albinusglocke in St. Pantaleon durch Martin Legros (3,7 - 4 t.) 1764 wurde wieder eine größere Glocke für Köln gegossen. Die 1677 für St. Kolumba von J. L. Dinckelmayr und Johannes Wickrath gegossene große Glocke gibt Seidler mit ~2,6 t an. Über die vermutliche h° in St. Ursula von 1684 sind keine Daten bekannt. Ein in seiner auch neueren Geschichte definitiv beeindruckendes Geläut - aber leider so und mit dieser Ruhe nur selten zu hören.