Die letzten Tage von Leibis 1994

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  • čas přidán 11. 09. 2024
  • Die letzten Tage von Leibis 1994
    Mit der Flutung der neuen Talsperre Lichte / Leibis wurde im Februar 2005 begonnen
    U.a. schreibt taz. die tageszeitung am 18. 11. 1994
    Die Letzten lassen das Licht an
    Eine Landschaft verschwindet, ein Dorf stirbt, die Menschen sind schon weg. Im Thüringer Wald wird die größte Talsperre Mitteleuropas gebaut, obwohl der Wasserverbrauch gesunken ist  ■ Aus Leibis Thorsten Schmitz
    Dort, wo der Thüringer Wald den größten Faltenwurf aufweist, steht das Geisterdorf Leibis. Sein Name, 1465 erstmals urkundlich erwähnt, wurde inzwischen von allen Landkarten gestrichen. Seit zwei Jahren ist Leibis Sperrgebiet. Das Lichtetal war das schönste Tal Thüringens, sagen die Menschen mit verzücktem Blick ins Unendliche. Eine Landschaft, so groß wie 177 Fußballfelder, verschwindet.
    Zur Jahrtausendwende wird eine hundert Meter hohe Stahlbetonwand, die größte Europas, 44 Millionen Kubikmeter Lichtewasser zusammenstauen. Diesem gigantischen Kunstsee steht Leibis im Weg. Schon 1979 erfuhren die 104 Dorfbewohner, daß ihr Tal eines fernen Tages geflutet würde. So recht mochte niemand daran glauben. Und an Widerstand glaubten die Leibiser schon gar nicht.
    Der Trinkwassersee, in dem niemand baden darf, wird 750 Millionen Mark kosten - einschließlich der „Sitzkrücken“ für Greifvögel als Ersatz für Tausende gefällter Fichten. Laut Einigungsvertrag sind einmal begonnene Bauwerke zu vollenden. 750 Millionen Mark und die Zerstörung einer Landschaft, obwohl der Wasserverbrauch nach Auskunft des Umweltministeriums in Thüringen stetig zurückgeht. Obwohl das kleine Bundesland zum industriellen Notstandsgebiet herabgewirtschaftet ist, in dem weiterhin alle zwei Wochen ein großes Unternehmen dichtmacht. Obwohl bereits 172 Thüringer Bäche in Talsperren gestaut werden.
    Aber „es wäre doch ein Wahnsinn, das Projekt zu stoppen, nachdem nun schon soviel Geld ausgegeben worden ist“, findet Heiko Kraft, Bauleiter der Talsperre Leibis-Lichte. Die Landesregierungen von Sachsen und Sachsen-Anhalt, die zunächst am Talsperrenbau beteiligt waren, sehen das anders. Sie sprangen 1991 wegen des auch in ihren Ländern sinkenden Wasserverbrauchs ab.
    Leibis stirbt langsam. Nachts wüten Jugendliche aus der Gegend in den schiefergedeckten und eigentlich denkmalgeschützten Häusern rum. Sie legen Feuer, schmeißen Fensterscheiben ein und reißen Bushaltestellen aus ihrem Fundament. Tagsüber kommen Männer in mutig gemusterten Freizeitanzügen in das Freiluft- Museum und betätigen sich als Chronisten. Mit zugekniffenem Auge und einer Sonderangebots- Videokamera suchen sie die Zeit festzuhalten. Und mitunter entdecken sie durchs Objektiv ein Schnäppchen. „Guck mal“, ruft ein Hobbyfilmer aus der Nebengemeinde Unterweißbach seinem angeödeten Sohn zu: „Russische Kieferbretter!“ Gesehen, verstaut. Im hellblauen Trabi rauschen die beiden davon.
    Einmal aber hat die Dorfgemeinschaft noch funktioniert. Als 102 Leibiser ihre Koffer packten und den drei Kilometer entfernten Neu-Leibis-Hügel erklommen, zogen zwei Leibiser nicht mit. Und das war Absicht. Gerhard Lotze, 61, und Jürgen Zerlitzki, 26, hätten im sauberen Neu-Leibis nur gestört, war des Dorfes Ansicht. Die beiden trinken gerne und reden ungeschminkt. 102 Leibiser mögen das nicht. Deshalb hielten sie alle noch einmal zusammen und konnten die Talsperrenverwaltung davon überzeugen, daß Lotze und Zerlitzki besser nicht am kollektiven Umzug teilnehmen.
    Den beiden ungleichen Männern wurde daraufhin eine drittklassige Mietwohnung in Unterweißbach zugewiesen. Aber dorthin wollten sie nicht. Und so wohnen die „Asozialen“ - so die Neu- Leibiser über die letzten Alt-Leibiser - noch immer im alten Dorf. Längst ohne Strom und ohne Wasser. Für die beiden die Versorgung aufrechtzuerhalten würde sich nicht lohnen, rechnet die Talsperrenverwaltung vor. Und außerdem will sie sie ja loswerden. „Gewaltlos“, sagt Heiko Kraft.
    Die Dissidenten des alten Leibis aber wollen bleiben, solange es geht. Lotze und Zerlitzki essen Kartoffeln aus Vorgärten und Holunderbeersuppe. Einmal im Monat fahren sie auf ihren klapprigen Rädern zum Arbeitsamt nach Neuhaus, Unterstützung abholen. Einen guten Teil davon lassen sie in den Kneipen Unterweißbachs. Weil es dort warm ist.
    Nachts radeln sie dann die kurvenreiche Straße nach Leibis zurück. Und wenn die Neu-Leibiser bereits unter ihren Daunen liegen, flackern bei Gerhard Lotze und Jürgen Zerlitzki noch die Kerzen. „Damit die Vandalen wissen“, sagt Lotze, „daß da noch wer wohnt.“

Komentáře • 19

  • @opaedd8556
    @opaedd8556 Před 3 lety +14

    Wenn man als Ureinwohner von Leibis solche Bilder nach so langer Zeit sieht,das herrliche passende Volkslied dazu,schmerzt das Herz. Danke

  • @blaueelise3380
    @blaueelise3380 Před 4 lety +16

    Danke für dieses eindrucksvolle Video. Ein Stück Heimatkunde. Faszinierend und traurig zugleich...

  • @Der_Alanbogen
    @Der_Alanbogen Před 7 měsíci +4

    Ich bin nie in Leibis gewesen. Als ich geboren wurde, war der Bau der Talsperre bereits in vollem Gange und nichts, bis auf das Kriegsdenkmal, war von diesem Dorf mehr übrig. Trotzdem kehre ich immer wieder zu diesem Video zurück, weil es mich sentimental macht. Als liegt diesen Bildern und dem Chorgesang eine tiefere Wahrheit zugrunde. Unsere Gegend rund um Lichte wandelt sich momentan stark, der Wald ist krank und schwindet und es wirkt, als wäre nicht nur die Natur, sondern auch die Seele unserer Region aus dem Gleichgewicht geraten.
    Für mich ist dieser Kanal eine wahre Goldgrube, die alten Berichte und Beiträge aus dem ehemaligen Kreis Neuhaus bieten einen Blick in eine Zeit, die eine schwer zu beschreibende Natürlichkeit ausstrahlt.
    Danke, Lichtner1955.

    • @Lichtner1955
      @Lichtner1955  Před 7 měsíci +1

      Danke für den positiven Kommentar. Ich bin auch erst seit etwa 2000 in Lichte wohnhaft und habe Leibis nie mit eigenen Augen gesehen. Ich habe den ganzen Bau der Talsperre verfolgt. Siehe Film " Bau der Talsperre Leibis Lichte ". Da ich ja keine eigenen Fotos von Leibis hatte habe ich dann im Internet einige Fotos gefunden und mich entschlossen einen kleinen Erinnerungsfilm an Leibis zu erstellen. Auch ich beobachte den kranken Wald in unserer Umgebung mit großer Sorge, auch den Niedergang dieser Region. Ich werde weiterhin versuchen altes Foto und Videomaterial der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen. Auf grund von Anfragen habe ich im November 2023 noch einen kleinen Film über das alte Leibis als es noch bewohnt war erstellt . Gibt leider nur noch wenige Fotos von Leibis. czcams.com/video/yLENqeT12bE/video.html

  • @exsaxpommernjung
    @exsaxpommernjung Před rokem +7

    Lange, lange habe ich gezögert, was zu schreiben.
    Vielen Dank für das Vorstellen des Materials hier. Für mich ist insbesondere der Teil dieser Dokumentation wichtig, der Leibis und den Talsperrenbau zum Gegenstand der Betrachtungen macht.
    Ich habe diese Bilder sehr schwermütig betrachtet, habe ich doch in meiner Kindheit jeden Sommer einen Teil der Ferien dort verbracht. Es waren so wunderbare Zeiten, dass sich vieles in die Seele eingebrannt hat und unvergessen bleibt. So war das jährliche Ferienziel in Leibis zumeist die Schnepfenmühle. Die wurde von der Familie Wohlfahrt als Gästehaus, würde man heute vielleicht sagen, betrieben. Unermüdlich waren sie von ganz früh bis abends auf den Beinen um die Gäste zu bewirten. Im Nebenhaus mit dem alten Backofen wohnte ein besonders guter, ebenso unermüdlicher Geist - die alte Frau Oberthür. Ein wenig Vieh war auch dabei, ich kann mich da an zwei „Rindviecher“, zwei-drei Schweine, Hühner und viele Enten entsinnen. Dann war dann noch die Marie, die half in der Küche und knatterte mit der Schwalbe durch den Wald, um morgens bei Erna im Konsum eine Kiepe voll frischer Brötchen zu holen.
    An so viele Dinge erinnere ich mich bruchstückhaft.
    Die kleine Poststelle, das Sägewerk, Getränkehandel Ott, die Gaststätte oben an der Straße „Zum kühlen Grund“ - Betriebsferienheim Silberhütte bis hin zur Kirche, irgendwie dunkel, eingerückt, ganz dicht am Hang gebaut (kindliche Erinnerung). Schräg gegenüber eine Freifläche mit ein paar Bänken, in der Mitte ein Minispringbrunnen, wo bunte Tischtennisbälle in der „Fontäne“ tanzten und etliches mehr.
    Mancher mags belächeln, aber das Stückchen Lichte- und Schlagetal war der einzige Ort in meinem Leben, der sich wie Heimat anfühlte. Die Tränen sind mir bitter.

  • @WoelkerVideo
    @WoelkerVideo Před 3 lety +6

    *Ein sehr trauriges Video, aber mit sehr interessanten Fotos.*
    _Ich war noch dort, als die Gemeinde noch bewohnt war. Später als alles geräumt war, war ich auch nochmals dort._
    _Da hatte doch aber Einer noch dort gewohnt, als schon fast alles abgerissen war. Wahrscheinlich war das der Herr bei __2:50__ . Von oben hatte ich noch Fotos vom abgerissenen Dorf und ich glaube auch Videoaufnahmen gemacht._

  • @RMBMB-ut6xl
    @RMBMB-ut6xl Před rokem +1

    Ich wusste nie von Leibis und konnte diesen schönen Ort nie besuchen. Danke für diese Erinnerung und Zeitdokument, dass es wenigstens im Gedächtnis ethalten bleibt.

  • @thomasknospe9733
    @thomasknospe9733 Před rokem +2

    Ich war dort oft mit meinen Eltern als kleiner Stepke zum Urlaub.Waren bei Herrn Ott untergebracht,er hatte ein paar Kühe,ein Pferd Namens Max und nen Schäferhund der Seppl hieß,das war immer eine herrliche Zeit für uns Großstadtkinder dort....

  • @clauschiemgauer9609
    @clauschiemgauer9609 Před 2 lety +5

    Der Heimat vertrieben zu werden, egal aus welchen Gründen ist niemals schön!! LG aus dem Chiemgau

  • @Angelika.P
    @Angelika.P Před 10 měsíci +2

    Auch mich beschäftigt das alte Leibis noch ab und zu und so habe ich dieses Video entdeckt mit der Verwertung meiner Leibis-Fotos (2. bis 20. Bild). Die Musik dazu finde ich auch sehr stimmig. Und Leibis ist es auf jeden Fall wert, nicht vergessen zu werden!
    Obwohl mein Besuch dort inzwischen fast 30 Jahre her ist und ich weder Thüringerin bin noch das intakte Leibis kannte, tut es mir immer noch sehr leid um die Vertreibung der Bewohner, die zudem inmitten der Wirren vor und nach der Wende stattfand. So etwas wünscht man niemandem, der ein Empfinden für Heimat hat.
    Wenn man „Angelika Perhoc Fotografie“ in eine Suchmaschine eingibt, findet man meine Webseite und auf deren Startseite den Link zu „Leibis im Tal der Lichte“. Dort sind einige weitere Leibis-Fotos zu finden.

    • @Lichtner1955
      @Lichtner1955  Před 10 měsíci

      Hallo Frau Perhoc, danke für ihren Kommentar zu meinem Video „ Die letzten Tage von Leibis 1994 „ und dass Sie nichts gegen die Verwendung ihrer Fotos im Video haben.Hätten Sie ihr Urheberrecht geltend gemacht würde ich das Video sofort von meinem Kanal löschen, was ich aber schade fände. Ich bin erst nach dem Jahr 2000 in diese Gegend gezogen und habe den Bau der Talsperre verfolgt. Natürlich hat mich in diesem Zusammenhang auch die Geschichte von Leibis interessiert. Beim googeln bin ich dann im Netz auf die Fotos vom alten Leibis gestoßen, es gibt leider fast kein altes Fotomaterial von Leibis mehr. Erst viel später bin ich dann auf die Idee gekommen als Erinnerung an Leibis ein kleines Filmchen zu erstellen. Genau wie Sie bin ich der Meinung, dass Leibis nicht in Vergessenheit geraten darf. Und mittlerweile 11477 Klicks zum Video zeigen das Interesse der Leute am Thema.
      Mit freundlichen Grüßen 🥰
      czcams.com/video/DvJ4dxhYPi4/video.html

    • @Angelika.P
      @Angelika.P Před 10 měsíci

      @Lichtner1955 : Hallo Herr "Lichtner1955", nein, bitte keinesfalls das Video löschen und es wäre mir lieber, dass Sie die Erwähnung meines Namens aus dem Titel wieder herausnehmen, denn es sind ja nicht alle Fotos von mir. Ich finde es toll und wichtig, dass Sie den "alten Geschichten" nachgehen 👍 und werde Ihren Kanal hier gerne weiter verfolgen. Herzliche Grüße aus dem Saarland

  • @matthiasmoeser2652
    @matthiasmoeser2652 Před 2 lety +2

    Schade um die schönen, alten Gebäude... 😔☹️
    Das Bushalteschild vom alten Ort hätte ich noch mitgenommen...

  • @majaboeoeoe
    @majaboeoeoe Před 2 lety +3

    Das ist sehr traurig. Die Heimat und das eigene Haus kann keine Entschädigung wieder gut machen - den Menschen wurde damit das genommen, was keinem genommen werden sollte. Das Gefühl, zuhause zu sein. Ich kann sehr gut verstehen, warum der Mann noch bis 1999 in seinem Haus geblieben ist.

  • @thuringer7747
    @thuringer7747 Před 3 lety +7

    Sehenswert ist auch das Video über den Bau der Talsperre . czcams.com/video/DvJ4dxhYPi4/video.html

  • @spitzbube4162
    @spitzbube4162 Před 3 lety +3

    Kurz vor der Flutung sind wir nochmal durch das Tal gelaufen

  • @danidigio09
    @danidigio09 Před 3 lety +2

    Traurig . . .

  • @LocojustLoco
    @LocojustLoco Před měsícem

    Wir brauchen immer mehr Wasser, immer mehr... und einige zahlen den Preis dafür.