Cannstatts Geschichte sehen lernen 41) - in Zeiten von Corona: Kindergräber der Panik vom 15.03.1944

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  • čas přidán 22. 04. 2020
  • Der heutige Film führt uns erneut (vgl. Film Nr. 36) Bad Cannstatt, hier auf diesem Vlog) auf den ältesten Friedhof Bad Cannstatts (und damit auch ganz Stuttgarts), den Steigfriedhof am Sparrhärmlingweg, und zwar zu einem kleinen, speziellen Feld mit Kindergräbern an der westlichen Südmauer des Friedhofs unweit der Altenburgschule (vgl. Film Nr. 35) auf dem Bad Cannstatt-Vlog hier). Dort liegen an vier Grabstellen mit ihren kleinen Grabsteinen insgesamt fünf Kinder, die im Zweiten Weltkrieg auf besonders tragische Weise ums Leben kamen - sie wurden bei einer Panik erdrückt, zu Tode getreten. Dies geschah in der Nacht vom 15. auf den 16. März 1944, als bei einem Luftangriff - vermutlich durch einen querstehenden Kinderwagen - ein Stau am Stolleneingang an der Haldenstraße, Brückenstraße, Altenburger Steige entstand. Und die von Außen nachdrückenden, im Stollen Schutz vor den Bomben suchenden, Frauen, Kinder, Jugendlichen und alten Menschen in der entstehenden Panik nicht oder zu spät bemerkten, dass sie noch hätten einen Moment warten müssen, bis das Problem vor ihnen behoben gewesen wäre. Ich habe in den letzten Jahren einige Zeitzeugen kennengelernt, die mir berichteten, dass z.B. ein Vater seine beiden kleineren Kinder mit den Armen je eins in die Luft hob, damit sie nicht erstickten.
    Eine Gedenktafel des Vereins Schutzbauten Stuttgart e.V. wurde 70 Jahre nach dem Ereignis, 2014 an der Friedhofsmauer unmittelbar neben den Gräbern angebracht und zählt alle 23 Opfer der Panik namentlich auf. Unter den Opfern war ein erwachsener Mann im Alter von 67/68 Jahren, die ältesten Frau war 79 oder 80 Jahre alt, die jüngste 47 oder 48. 12 Personen, und damit etwas mehr als die Hälfte der Opfer waren Kinder im Alter zwischen 14 und 1 Jahr, vielleicht auch nur ein paar Monaten. Das eindrücklichste Grabmal ist durch die Porträts der Kinder das Grabmal für die Zwillinge Ursula und Waltraud Sauselen, die am 23. Januar 1941 geboren wurden und damit gerade mal drei Jahre alt waren, als ihr junges Leben endete. Ein Mädchen starb an den Spätfolgen des Ereignisses 1948 im Alter von etwa 10 Jahre, d.h. sie wusste vermutlich, warum sie starb, und konnte sich an ihre Erlebnisse während der Panik sicher erinnern, hatte vielleicht Alpträume in den letzten vier Jahren ihres Lebens.
    Auf allen Gräbern steht vor dem Todesdatum nicht "gest." für gestorben, sondern "gef." für gefallen, also an der "Heimatfront" bei einem "Terrorangriff", wie es damals in der offiziellen Sprachregelung hieß, ums Leben gekommen, so, als ob sie im Felde den "Heldentod" gestorben sprich "gefallen" wären. Es erschein mir unbedingt wichtig, dass diese 4 Gräber mit der Gedenktafel auch nach Ablauf der Ruhefristen erhalten bleiben, erinnern sie doch exemplarisch an eines der dunkeltsten Ereignissen der Cannstatter Stadtgeschichte und daran dass Kriege immer auch zivile Opfer fordern.
    Nachtrag (11.5.2020): Zeitzeugenberichte zum tragischen Ereignis finden Sie auch auf der Seite des Vereins Schutzbauten Stuttgart e.V. (www.schutzbauten-stuttgart.de/... vgl. auch den Film Nr. 58 auf diesem Bad Cannstatt-Vlog.
    Olaf Schulze,
    Historiker & Trauerredner
    1. Vors. Pro Alt-Cannstatt e.V.
    2. Vorstand Vereinigung Cannstatter Vereine
    Beirat im Gartenbauverein Bad Cannstatt von 1871

Komentáře • 2

  • @Romina_Das_Fischstaebchen
    @Romina_Das_Fischstaebchen Před 7 měsíci +1

    Echt traurig und dennoch faszinierend, was alles so damals passiert ist.

  • @monikafirla421
    @monikafirla421 Před 4 lety +1

    Toll! So wird Heimat lebendig. Die Kommentare von Herrn Schulze fand ich sehr sensibel, besonders die Worte zu der Mutter der Zwillinge Sauselen. Ganz herzlichen Dank!